Fragen an GreenCampus-Trainer Bastian Bretthauer
Menschen, die sich politisch oder neben der Arbeit ehrenamtlich engagieren, stehen unter großem Termindruck: Oft lautet der Anspruch, immer erreichbar zu sein und unmittelbar auf Veränderungen reagieren zu müssen. – Kann man denn gleichzeitig den Stress verringern und trotzdem omnipräsent sein?
Das Problem ist, dass wir in unserer hochtechnisierten Gesellschaft mit einer Hardware wie Computer und Handy arbeiten, ohne uns wirklich ausreichend Zeit genommen zu haben, um über eine geeignete Software nachzudenken. Unter Software verstehe ich kein Computerprogramm, sondern eine neue – sagen wir mal – Arbeits-, Kommunikations- und Gebrauchsethik. Die Frage ist: Wie wollen wir mit all den verfügbaren Informationen umgehen?
Zurzeit entdecke ich in vielen Bereichen unserer Gesellschaft noch einen großen Regelungsbedarf, um uns Berufstätige vor der Flut an Informationen und den damit einhergehenden Wahrnehmungs- und Reaktionserfordernissen zu schützen. Das gilt meiner Auffassung nach auch für den Termindruck. Organisationen, auch politische, sind oft nicht in der Lage, ihren Mitarbeitenden und Führungskräften ein realistisches Pensum abzuverlangen. Wenn sich aus der Arbeitsorganisation der Zwang ergibt, mehrere wichtige Dinge zeitgleich erledigen zu müssen oder zu wenig Zeit zur Verfügung zu haben, dann liegt genau darin das Problem. Und niemand außer uns selbst kann und sollte das ansprechen, infrage stellen, entzerren und verändern! So hat sich zum Beispiel ein*e Manager*in, der 1.200 Mails nach ihrem Urlaub im Posteingang fand, entschieden, alle Emails einfach zu löschen. Jetzt hat ihr Unternehmen eine Email-Reglung eingeführt. Während Abwesenheiten werden alle Mails gelöscht und die Absender*innen automatisch informiert.
In Deinen Seminaren sprichst Du von „Nachhaltigkeit“. Was heißt das genau?
Für mich ist Nachhaltigkeit vor allem ein Wert, der den Blick öffnet auf Themen wie Gesundheit, Wohlbefinden, Balance, Verträglichkeit aber auch Effektivität. In diesem Sinne umfasst Nachhaltigkeit sowohl die individuelle Ebene als auch die kollektive. Wie ausgeglichen, gesund und verträglich arbeite und lebe ich? Und wie effektiv, mit welcher Verträglichkeit und mit welchem Wohlbefinden (Betriebsklima) arbeitet meine Organisation? Vom systemischen Ansatz her sind alle Akteure verbunden und beeinflussen sich gegenseitig. Wenn in meiner Umgebungsorganisation zu wenig über Effektivität nachgedacht wird, dann kann es schnell geschehen, dass ich mich als Mitarbeiter wie ein Rad in einer großen Maschine fühle, mich immer schneller drehe und am Ende verschleiße. Herrscht an meinem Arbeitsplatz ein negatives Betriebsklima vor, gibt es schwelende Konflikte, Stänkereien oder Ignoranz, dann wache ich Montag früh mit dem Wunsch auf, dass es doch endlich schon Freitagabend wäre …
Kannst Du ein konkretes Beispiel nennen, wie jemand seinen Arbeitsalltag durch gezielte Veränderungen verbessern konnte?
Ich denke da gerade an einen jungen, ambitionierten Mann, der eine neue anspruchsvolle Aufgabe bekam. Schon nach wenigen Tagen wurde ihm deutlich, dass seine Vorgesetzten zwar von ihm erwarteten, dass er komplexe Projekte koordiniert, doch viele Entscheidungsbefugnisse völlig ungeklärt waren. Was ist der Unterschied zwischen Projektkoordination und Projektleitung? Im Coaching, zu dem er sich wegen Schlafstörungen und kurzen Panikattacken entschieden hatte, haben wir genau daran gearbeitet, transparente Zuständigkeiten einzufordern und in diesem Fall auch zu schaffen.
Oft geht es in meinen Trainings und Coachings erst einmal um eine exakte Analyse von Stressoren (Aufgabenüberlastung, Rollenunklarheiten, Ziel- und Interessenskonflikte aber auch Unterforderung, das sogenannte „bore-out“). Dann entwickeln wir individuelle Strategien, die daraus bestehen, Bedürfnisse auszudrücken, zu priorisieren, Zuständigkeiten zu klären und Grenzen zu setzen. Auch der Mut, an entscheidenden Stellen nein zu sagen, gehört dazu. Der junge Mann kann jedenfalls jetzt wieder durchschlafen.
Was kann man in Deinem Seminar „Wie wir arbeiten wollen: wirksam, nachhaltig, stressfrei“ lernen? – Und wie macht man nach dem Workshop seinen Kolleg*innen klar, dass man nun seine Arbeitsweise ändert? Die anstehenden Aufgaben müssen ja trotzdem pünktlich erledigt werden, Termine stehen an ... Wie kann man sich den „äußeren Umständen“ als Einzelperson entgegenstellen?
Die meisten Teilnehmenden in meinen Seminaren hatten einen wirklichen AHA-Effekt dabei zu erkennen, wie massiv wir uns selbst unter Stress setzen. Jede und jeder von uns hat ein „inneres Programm“, das einen riesigen Einfluss darauf hat, wie wir mit Termindruck und Workload umgehen. Es ist daher entscheidend, seine eigene Gefährdung und seine eigenen Schwachpunkte zu identifizieren, um ganz individuell Schritte zu mehr Gelassenheit zu entwickeln. Muss ich es wirklich immer allen recht machen? Muss ich tatsächlich alles schnell und perfekt erledigen? Darf ich mir keine Unterstützung holen oder nicht über meine Bedürfnisse reden? Wir können das äußere System nur dann verändern, wenn wir unser inneres System verstanden haben. Dann erst sind wir den „äußeren Umständen“ auch nicht länger hilflos ausgeliefert, sondern entwickeln neue Einstellungen, überprüfen damit unsere Arbeitsweise, kommunizieren unsere Bedürfnisse nach außen und übernehmen so Verantwortung, wo wir tatsächlich Verantwortung haben: nämlich in erster Linie für uns selbst.
Bastian Bretthauer ist Ethnologe, systemischer Organisationsberater und Coach, arbeitet mit Fach- und Führungskräften aus Profit- und Non-Profit Einrichtungen u.a. im Themenfeld Nachhaltigkeitsmanagement und Burnout-Prävention.